
24. Dezember. Keimzeit. Kommissar Freisal und seine Assistentin Gutzeit haben Dienst. Um sieben Uhr besuchen sie einen Verdächtigen. Um den Überraschungseffekt, nicht nur von der Zeit her, auf ihrer Seite zu haben, tarnt sich Hajo Freisal als Weihnachtsmann – stilecht mit Kostüm und falschem Bart.
Hier ein kleiner Ausschnitt aus dieser Szene, Seite 252, als literarischer Weihnachtsgruß:
Gutzeit stand mit dem Rücken an der Hauswand, also außerhalb des optischen Feldes der 180-Grad-Kamera (die die unmittelbare Umgebung des etwas tiefer liegenden, mit einem stuckverzierten Steinbogen beschirmten Eingangsbereichs erfasste). Ihr Blick war auf die andere Straßenseite gerichtet, wo ihr ein Kleinbus sonderbar bekannt vorkam. Das Fahrzeug kannte sie. „Herr Freisal, was macht die Kriminaltechnik hier?“
„Noch nichts. Aber gleich.“
„Warum weiß ich davon nichts? Schwirrt hier vielleicht auch das MEK herum?“
„Sorry, hab ich vergessen zu erwähnen. War zu sehr mit meinem Auftritt hier beschäftigt.“
„Soll heißen?“
„Ich habe die Kollegen herbestellt. Kann sein, dass es auf einmal schnell gehen muss.“
„Wieso?“
Freisal tippte auf seinen Bauch, der oberhalb des stilecht tief angelegten breiten Kostümgürtels imposant herüberkam. „Gefühl … da drinnen“, erklärte er.
Gutzeit wiegte den Kopf. „Weiß Claus davon?“
„Wovon?“
„Über unseren Umgang mit Ressourcen?“
„Ach, nun kommen Sie mir doch nicht mit Erbsenzählerei“, wiegelte der KHK ab – und klingelte entschlossen bei Familie Becker.
Gutzeit blieb in Deckung.
Nichts geschah.
Freisal klingelte wieder und wartete. Endlich meldete sich jemand mit „Ja, bitte?“ Das ist nicht der Becker, konstatierte Gutzeit in Gedanken. Diese Stimme ist bedeutend höher! Bingo?
Mit der Linken hob der Weihnachtsmann ein mechanisches Glockenspiel. Es schnarrte Stille Nach, heilige Nacht. In der Rechten hielt er ein schuhkartongroßes, in Weihnachtspapier eingeschlagenes Päckchen. Der KHK räusperte sich und sang mit betont tiefer Stimme: „Ho, ho, ho – was sind wir heute froh! Ha, ha, ha – der Weihnachtsmann ist da! Hi, hi, hi – ich hab hier was für Sie!“ Um den Bogen nicht zu überspannen, legte er sogleich im sachlichen Tonfall eines Buchhalters nach: „Kurierdienst, guten Morgen! Ein Päckchen für Familie Becker.“
„Kurierdienst? In der Aufmachung?“
„Mein Chef will das so, passt zum Fest, sagt er, und erfreut die Kunden.“
„Aha.“
Der Summer summte. Freisal öffnete die Haustür. Er trat für einen kurzen Moment auf wenige Zentimeter an die Kamera heran, sodass Gutzeit unbemerkt in den Hausflur huschen konnte. Während er dann die Stiegen hinauf in die erste Etage stapfte, wartete sie unten bei den Briefkästen und lauschte.
„So früh schon unterwegs?“, sagte die Person, die die Tür geöffnet hatte.
„Vor dem Fest ist immer die Hölle los – arbeitstechnisch, meine ich.“ Das war Sankt Freisal.
„Na, Sie haben’s ja auch nicht einfach.“
„Korrekt. Bitte hier noch quittieren.“
„Ja.“
Einen klitzekleinen Moment später hörte Gutzeit Freisal „Frohes Fest“ wünschen. „Ihnen auch“, wurde erwidert, dann die Tür geschlossen.
Die schweren Schritte abwärts kündeten davon, dass der KHK den Rückzug antrat.
Bei den Briefkästen angekommen, nahm er Mütze und Bart ab, streifte den roten Mantel herunter und stopfte alles in eine Plastiktüte, die ihm seine Kollegin aufhielt. Auch das Glockenspiel legte er dazu.
Gutzeit stellte die Tüte unterhalb der Reihe der Briefkästen ab.
Ihr Chef wedelte mit der Quittung. „Na, was sagen Sie?“, fragte er flüsternd. „Wie ich vermutet habe: Becker und seine neue Flamme. Sie hatte den Morgenmantel von Uta Becker an.“
„Und? Hübsch?“
„Das könnten Sie womöglich besser beurteilen.“ Freisal hielt ihr die Quittung hin. „Liebig“ stand dort deutlich lesbar.
„Liebig im Morgenmantel!? Soll das heißen …?“
„Sieht so aus. Aber die Krönung ist, der Herr Rechtsanwalt hat mit der Linken signiert.“
„Das heißt auch, dass noch ein Kandidat im Spiel ist?“
„Kommen Sie“, schlug Freisal vor, „wir laden uns bei den Herren auf einen Morgentee ein. Sind eigentlich Haar- oder Speichelproben besser?“
Frohe Alles!
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